Samstag, 5. Mai 2012

09.04.2012


Mein Aufbruch nach Haiti 
Haiti. Was fällt einem dazu ein? Vielleicht Palmen, Sonne, Karibik, Strände? So war jedenfalls mein Eindruck, wenn ich Leuten von meiner anstehenden Reise erzählte. Aus dem Kopf waren alle schrecklichen Bilder des Erdbebens  vor mehr als zwei Jahren, um genau zu sein am 12. Januar 2010. Vergessen die Zeltlager, die Nachrichten über Massengräber, eingestürzte Häuser, völlig zerstörte Stadtteile und schlechte Hygiene Bedingungen. Vergessen die Hilferufe. Vergessen all das Leid. Ja, das ist wohl allzu menschlich, besonders in Zeiten, wo eine Katastrophe der nächsten die Klinke in die Hand gibt.
Mal kurz zusammengefasst: Ein Erdbeben von einer Stärke von 7,6 ca. 30 Sekunden, lässt Haiti in der Verwüstung zurück. 250.000 – 300.000 Menschen kamen dabei ums Leben (aber das kann keiner genau sagen, wer hat hier schon einen Pass???), 1,5 Millionen Menschen waren danach obdachlos. Danach starben nochmals tausende Menschen an Cholera, weil die Hygiene Bedingungen in den improvisierten Lagern so schlecht war.
Hier in Haiti hat niemand irgendwas vergessen, wie auch, denn alles erinnert noch immer daran.  Die aufgerissenen Strassen, die Schutthaufen, die aufklaffenden Häuser und die leider immer noch zu findenden Camps.
Ich bin Gast von CARE, die nicht erst seit dem Erdbeben hier arbeiten, sondern schon seit 1954. Haiti war und ist ein Entwicklungsland. Und eins weiß ich jetzt: Um die Umstände in Haiti verstehen zu können, muss man weiter zurückgehen in der Zeit, als nur bis zum Erdbeben. Wer Haiti verstehen möchte, muss seine Geschichte verstehen.


Die Arbeit einer Hilfsorganisation, so kann man es vereinfacht sagen, gliedert sich in zwei Felder auf: Nothilfe, also das retten der Leben und die direkte Hilfe nach einer Katastrophe und langfristige Entwicklungsarbeit.
Zweites ist nicht so sexy. Weder für die Spendenaufrufe noch für die Medien.  Aber es ist wichtig. Die Bilder dieses Erdbebens waren erschütternd und die Spendenbereitschaft war groß, aber was passiert danach? Interessiert es die Menschen hier noch, ob die Leute dort einen Brunnen haben, Zugang zu fließendem Wasser? Das sie immer noch in Camps leben? Aber darum geht es doch und das weiß CARE; es geht darum, den Leuten eine langfristige Verbesserung ihrer Lebensumstände zu bieten. Und zwar nicht in dem man ihnen irgendwas aufs Augen drückt, was  so keinen Sinn macht, sondern durch die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern Vorort und durch die Gespräche mit den Einwohnern, rauszufinden, wo es wirklich brennt – ja, was wirklich gebraucht wird. Bei CARE (Wie auch bei anderen Organisationen) arbeiten zum größten Teil Leute aus dem jeweiligen Land was die Arbeit einfacher und definitiv erfolgreicher gestaltet.
CARE und auch alle anderen NGO’s haben ein Ziel: Stabile Lebensbedingungen. Unabhängigkeit eines Landes. Hilfe zur Selbsthilfe.
Aber wir stellen uns das alles ein bisschen einfach vor. Zumindest ging es mir so. Zum Beispiel kamen mir Fragen wie ,Warum bauen die Übergangshäuser und keine Richtigen’? Von der Ferne betrachtet mag das schwer verständlich sein. Jetzt kann ich diese Fragen beantworten und tue dies hier in Schriftform später noch einmal genauer und hoffe, dass auch die Videoblogs Aufschluss geben.

Erster Tag. 10.04.2012


Die Ankunft
Im CARE Büro ein warmes Bonjour. Sabine Wilke, Mitarbeiterin von CARE, die nach dem Beben ein halbes Jahr in Haiti gearbeitet & gelebt hat und mit mir diese Reise antritt, ist glücklich viele bekannte Gesichter wieder zusehen.
Man mag es kaum glauben, aber zwischen all den zerfallenen Häusern befinden sich kleine hübsche Restaurants, wo man Cola Light bekommt und Sandwiches, zur Freude aller – also der Expats, denn hier sitzen keine Haitianer, es sei denn sie arbeiten für eine der NGO’S...  Dort sitzend, bekommen wir von den Kollegen vor Ort unsere nächsten strammen Tage erklärt: Kleinspargruppen & Übergangshäuser ansehen, Camps die sich im Aufbruch befinden anschauen, Schulen besuchen, Wasserversorgungssysteme und vieles mehr. Aber dazu mehr, in den kommenden Tagen!
Dann folgen die Sicherheitsauflagen. Man kann hier nicht einfach so herum spazieren. Denn es ist hier nach wie vor nicht ungefährlich. Immer wieder hört man von Entführungen und Überfällen, nicht schwer nachvollziehbar bei den Lebensbedingungen. Aber man muss auch sagen, dass es in den Medien immer aufgebauscht wird. Dennoch bin ich hier Gast von CARE und wir alle halten uns an diese Regeln. Die da heißen: Beim Auto fahren durch Port au Prince (die Hauptstadt), immer von innen die Türen verriegeln, nicht auf den Strassen herum laufen und ab 22.30 muss man im Hotel sein. Wenn der Begleiter auf den Reisen sagt, ‚es ist Zeit zu gehen’  wird aufgebrochen und zwar ohne Diskussion. (Habe ich aber nie erlebt)
Aber ich fühle mich hier sehr sicher, auch wenn uns Khassim, unser Fahrer mit der Ruhe und Sicherheit eines geschulten Guides über die hügeligen und zerrissenen Strassen fährt.



Und mein erster Eindruck von Port au Prince?
Es ist ein wahnsinniges Gewusel, überall Ecken mit Geröll, eingestürzte Häuser. Es erinnert an den zweiten Weltkrieg. Durch die Straßenführung würde ich wahrscheinlich auch nach Jahren nicht durchblicken, also das was man hier Strassen nennt. Ich habe in ganz Port au Prince eine einzige Ampel gesehen (an der im übrigen keiner hält) und die Strassen sind voll mit TapTaps, das sind die öffentlichen Transport Mittel, Jeeps – oft von den Organisationen – die man hier stark vertreten sieht. Auf den Strasse Kühe, Schweine, Hunde und Hühner. Die Haitianer, die alles auf dem Kopf tragen. Um sich im Verkehr zu verständigen wird hier gehupt. Blinken? Was ist das? Hupen geht doch auch! J Aber es klappt, und auch wenn alle an einer Kreuzung gleichzeitig losfahren, kommen alle dort an, wo sie hin wollen.
Die Haitianer sind ein offenes Volk und sie finden oft einen Grund zum Lachen. Sie verbergen ihr Trauma tief hinter ihren Augen und wenn ihr lächeln erstirbt, sind ihre Gesichter oft von Trauer gezeichnet. Von Leere, von einem tiefen Schreck. Aber man kämpft hier jeden Tag ums Überleben, da bleibt keine Zeit sich mit sentimentalem Trauern zu beschäftigen. Bereits am ersten Tag höre ich folgenden Satz immer und immer wieder: ‚Die größte Angst die wir haben, ist die vor einem weiteren Beben’.
Carrefour - CARE/Evelyn Hockstein
Die Angst ist nicht unberechtigt. Den vor der Küste Haitis klaffen die beiden Erdspalten aufeinander.  Wenn man Menschen nach dem Beben fragt, erzählen sie manchmal ihr Geschichte, so zum Beispiel Tim ein Mitarbeiten von CARE, der uns heute ein bisschen was berichtet hat. Er war damals im Supermarkt als dieser über seinem Kopf zusammen fiel. Er war so traumatisiert als er sich aus den Trümmern befreite, lief raus und wie durch ein Wunder, war sein Wagen vor der Tür der einzige nicht zerstörte.
‚Das Beben klang wie ein Schrei aus der Erde’, erinnert er sich.
Während ich das hier schreibe dröhnt laute kreolische Tanzmusik aus dem Club neben an. So viele Eindrücke an einem einzigen Tag...