Donnerstag, 3. Mai 2012

Dritter Tag. 12.04.2012

Kleinspargruppen.
Was ist bitte eine „Kleinspargruppe“?
Es gibt mittlerweile 12 dieser Gruppen, mit jeweils 30 Mitgliedern und die Frauen lieben es. Die Kleinspargruppen sind von CARE Deutschland ins Leben gerufen worden und sie haben sich aus den „Mutterclubs“ gebildet. Auch hier haben sich die Frauen zusammen getan, weil es Ihnen die Möglichkeit gibt unabhängig zu werden und sich ebenfalls finanziell in die Familie mit einzubringen.
An diesem Morgen kommen wir in Miton zusammen – das liegt zwischen Gressier und Léogâne– dort treffen sich an einer schattigen Lichtung, eine feste Gruppe Frauen. Eben eine dieser Kleinspargruppen. Einmal wöchentlich, kommen sie mit Ihren Sparbüchern zusammen und bringen sich Ihre Stühle selber mit und als wir ankommen, werden wir offen und herzlich empfangen.
Auch hier wird zur Einstimmung gesungen. Eine Art Affirmation, so erscheint es mir. Das Gesungene besagt soviel wie: Wir sind stark und wir sind nicht arm, wir sorgen für uns.
Abschließend wird noch gebetet und erst dann geht’s ins Eingemachte.


Der Sinn dieser Gruppen ist es Micro Kredite zu vergeben und sie basiert auf einem System, das die Menschen hier nicht abhängig, sondern im Gegenteil unabhängig macht.
Jede Woche kommen die Damen mit Ihrem Sparbuch zur Sitzung, hier wird vermerkt wie viel sie jeweils angespart und eingezahlt haben.  Bisher hat diese Gruppe 200 Gourdes angespart, was etwa 50 US Dollar entspricht.
Eine Zirkulation dauert insgesamt 12 Monate. Pro Woche muss jede Frau mindestens eine Einheit (50 Gourdes = ca. 1 US Dollar) einbringen. Man kann bis zu 5 Einheiten pro Woche einzahlen, sprich 250 Gourdes. Wenn man einen Kredit nimmt innerhalb der Gruppe, kann man immer das Dreifache der Einheiten leihen, die man eingezahlt hat. In der letzten Runde, so beschreibt mir das eine Frau, hatten sie am Ende 1500 Gourdes gespart. Der Gewinn wird am Ende eines 12monatigen Zyklus durch alle Frauen gleichermaßen geteilt.

 Nach dem alle nach vorne aufgerufen wurden und mit ihren Sparbüchern in der Hand ihre Einzahlung tätigen, habe ich im Anschluss die Möglichkeit mit zwei Frauen persönlich zu sprechen. Sie erzählen mir, von Ihren Wünschen und davon was sie sich im Anschluss alles davon kaufen wollen. Die Eine möchte gerne irgendwann eine Boutique eröffnen und Kleider verkaufen, die sie selber schneidern möchte. Von Ihrem Geld möchte sie also in erster Linie Stoffe kaufen. Die andere möchte einen Marktstand mit Obst, Gemüse und Spagetti  haben und spart darauf hin. Generell geht es den Frauen vor allem um Nahrungsmittel: Mais, Reis, Obst und Gemüse. Sie kaufen es und verkaufen es dann mit einer kleinen Gewinnspanne. 

Was auch toll ist, ist das die Gruppe immer 200 Gourdes für Notfälle zurück hält und zum Beispiel wenn jemand krank ist und Medizin benötigt, diese Gelder frei gibt.
Sie wünschen sich das diese Kleinspargruppen weiter bestehen bleiben und es macht sie glücklich, das sie sich finanziell in die Familien einbringen und auch in der Lage sind ihre Kinder selber zu versorgen.


Gruppe gegen Gewalt – Lutte contre la Violence.

Wir ziehen weiter. Die karibische Hitze lässt selbst die Klimaanlage im Auto vor Mühe krächzen. Angekommen in Laferonay erwartet und ein Gemeindehaus das CARE hier erbaut hat. Es steht mitten auf einem Feld. Eine Kuh mit Ihren Jungen grast faul vor der Tür.
Diese Center sind eng verbunden mit den Health Centern. Nach dem Erdbeben ist es zu viel häuslicher Gewalt und sexuellen Übergriffen in den Camps gekommen. Viele Mütter sind Opfer des Erdbebens geworden, waren/sind obdachlos und oft alleine mit Ihren Kindern in den provisorischen Zelten. Die Frauen fühlen und sind! in ihren Zelten nicht sicher und es gibt zahlreiche Fälle von Gewalt gegen Kinder und Frauen. Als Gegenmaßnahme wurde das „Centre contra la Violance“ ins Leben gerufen, das sehr eng mit den Health Centern in Carrefour und Léogâne zusammen arbeitet.
Es gibt zwei wesentliche Pfeiler: Entwicklungsarbeit und Nothilfe.
-       Nothilfe: Wenn hier  von Notfällen berichtet wird (das seltener vom Opfer direkt passiert, als durch die Nachbarschaft)  so werden die betreffenden Kinder und Frauen versorgt und ggf. in die Health Center oder ins Krankenhaus gebracht.
-       Entwicklungshilfe ist langfristiger und eng verknüpft mit der Veränderung der Frauenrolle im Land und in der Familie. Außerdem wird HIV Vorsorge betrieben, Kondome verteilt, Aufklärungsarbeit etc. pp

Nach dem Erdbeben herrschte nicht nur der absolute Notstand, sondern es war und ist immer noch, für die Menschen hier emotional kaum zu verkraften. Daraus haben sich auch ein hohes Gewaltpotenzial entwickelt.
Die CARE Mitarbeiter wurden selber erst einmal ausgebildet. Sowohl psychologisch als auch mental mit all diesen Umständen umzugehen. Wie geht man mit einem Kind um? Einem Opfer? Wie geht man mit den Tätern um? Wie weit darf man sich einmischen?  Wie gewinne ich das Vertrauen?

Eine Maßnahme wurde gleich ergriffen:
CARE/Evelyn Hockstein
In den zahlreichen Lagern wurden Security Frauen und Männer eingestellt, die immer zu zweit schichtweise die Nachtwache in den Lagern halten.  Das war in den ersten 10 Monaten nach dem Erdbeben so.
Dann Begann die Rehabilitationsphase. Es gab dann Trainings in den einzelnen Gruppen (Shelter Gruppen und WASH Gruppen), so das alle Verantwortung üben und sich um die Sicherheit bemühen. Es wurden dann auch Leute in Gesundheitswesen und Sanitären Diensten ausgebildet, so dass immer Ansprechpartner und Fachkräfte in den Camps zu Verfügung stehen.

Wie ich schon sagte, viele, viele Frauen wurden in den Camps vergewaltigt und selten reden Sie darüber. Sie fürchten sich zu sehr und die Scham ist zu groß und auch in den Gruppen haben sie nicht darüber gesprochen. Nicht nur Gruppensitzungen wurden mehrfach im Monat angeboten, sondern auch Einzelsitzungen (1 to 1 Sitzungen) die auch sehr viel Erleichterung gebracht haben und den Opfern geholfen haben, darüber in einem geschützten Raum zu sprechen.
CARE/Evelyn Hockstein
Daher wurden besonders Frauen gefördert im Security Dienst und außerdem wurde veranlasst, das die Poilzei mehr weibliche Kräfte einstellt. Aber es geht nicht nur um Vergewaltigung, sondern alle Arten von häuslicher Gewalt. Kann man sich das vorstellen? In Haiti ist zwar Vergewaltigung ein Strafdelikt, allerdings gibt es keinerlei Gesetze über andere häuslichen Gewalttaten...

Die Security Frauen bei Ihrem Gang durch eines der Camps
- CARE/Evelyn Hockstein





Ich bin ganz still während heute einige der Security Mitarbeiten von CARE ihre Erfahrungen mit uns teilen.

Casseque ein Security Mitarbeiter berichtet:
„Das Leben in den Camps ist sehr schwer. Gesundheit ist ein schwieriges Thema, auch durch die anhaltende Regenzeit, wo alles voller Matsch ist.“

Eine Krankenschwester erzählt:
„Frauen an denen Gewalt verübt wurde, leiden nicht nur an körperlichen Beschwerden, sondern auch an der Scham. Die ganz jungen Frauen und Mädchen, gehen nicht mehr in die Schule, weil sie Angst haben, dass es jemand raus finden könnte. Wir können sehen, das diese Arbeit hier phantastische Ergebnisse bringt und wirklich vielen Hilfe leistet.“

Madame Marie-Martie, eine Frau aus dem Security Team berichtet:
 „ Meine Aufgabe ist es mit den Leuten zu sprechen und präsent in den Camps zu sein.
Einmal habe ich von einer Frau in dem Camp erfahren, die regelmäßig von ihrem Mann geschlagen wurde. Erst einmal habe ich  mit der Frau geredet und irgendwann auch mit ihrem Mann. Oft sind sich die Männer nicht darüber bewusst, das sie was Falsches tun und sind selbst so groß gezogen worden. Ich habe immer wieder mit ihm gesprochen und er hat sein Verhalten geändert. Es ist nicht mein Verdienst, das sich das Paar nun wieder gut versteht, es war das Paar selbst das sich geholfen und gelernt hat.“

Yverose, auch aus dem Security Team, erzählt:
„ Ich danke dem lieben Gott und CARE für dieses Training. Am Ende des Tages ist es unsere Verantwortung und nicht die von CARE. Ich hoffe, das wir alle noch viel miteinander und voneinander lernen werden.“
Weiter berichtet Sie von einem Fall aus dem Camp:
„Ein 14 Jähriges Mädchen wurde in zwei Nächten hintereinander in dem Camp von einem 50 Jährigen und einem 32 Jährigen Mann vergewaltigt. Sie hat nichts – aus Angst und weil Sie von dem Männern bedroht wurde – zu Ihrer Mutter gesagt. Als das Mädchen am zweiten Abend wieder sehr spät nach Hause kam, wurde die Mutter wütend und dann hat ihre Tochter ihr erzählt was passiert ist. Das Mädchen wurde von CARE gleich ins Krankenhaus gebracht und die Polizei wurde verständigt. Die beiden Männer sind seither verschwunden und aus Angst vor deren Familien ist das Mädchen mit Ihrer Mutter auch in ein anderes Camp gezogen.“




Die Security Frauen bei Ihrem Gang durch eines der Camps
- CARE/Evelyn Hockstein


Als ich das höre kann ich kaum an mich halten. Ich kann wirklich sehen wie wichtig den Menschen hier diese Gruppen sind und wie wertvoll deren Arbeit. Gemeinschaft ist alles was zählt. Es tut Ihnen gut Aufgaben zu bekommen und sich gegenseitig zu helfen.










Auf den Strassen in PaP
Auf den Strassen durch Port au Prince komme ich aus dem schauen gar nicht mehr raus. Draußen ein reges Treiben, viele Menschen die alle – so scheint es – durcheinander laufen. Marktstände säumen die Strassen. Ich hatte es mir gar nicht so hügelig vorgestellt, aber tatsächlich bieten die Serpentinen Strassen  hier viel Gelegenheit über die Stadt zu blicken. Immer noch viel Zerstörung. Viele Camps.

Alles wird auf die Häuserfronten gemalt. So zum Beispielt Werbung vom Bier bis zum Café oder Schriftzüge zu Kindergärten, Schulen und Restaurants. Es ist sehr bunt und farbenfroh und hat einen sehr eigenen Charme.

Oft entdecke ich das kreolische Graffiti „Pas jete Fatra“, was soviel heißt wie ‚Haltet Euer Viertel sauber’. Das ist es nämlich was man auch viel sieht: Müllberge, überfüllte Container, Müll auf der Strasse.
 
Dann fahren wir durch ein anderes Viertel und dort findet sich das Graffiti ‚BPC’. Das ist, so erklärt uns Khassim, ein Musiker Viertel und BPC ist deren Code. Sowas wie West Coast und East Coast.


 Hier kann man auch eine Strasse finden, wenn man aus PaP raus fährt, wo Kunst auf der Strasse verkauft wird. Schöne, farbenfrohe Bilder. 





















Treffen mit den Voodoo Priestern
Voodoo Puppen, Knochen, Hühnerköpfe und in Trance tanzende, bemalte, wilde Männer die schwarze Magie betreiben. Das ist so ungefähr das allgemeine Bild von Voodoo.
Alles Quatsch. Das dachte ich mir schon, oder viel mehr hoffte ich das und begab mich auf die Suche. Ich fragte Leute nach Voodoo und kassierte sonderbare und leicht beängstigte Blicke. ‚Was will denn die blonde Schauspielerin jetzt mit Voodoo???’ War in etwa der Subtext, dieser Reaktionen.
In Haiti gibt es zwei ausgeprägte Glaubensrichtungen: Christentum und eben Voodoo. Manche betreiben auch beides. Das Erste ist offensichtlich, das Zweite passiert, wie ich schnell lerne, hinter verschlossenen Türen.  Hier redet man nicht so offen über Voodoo, das hatte ich dann schnell verstanden.
Gerade eine Woche bevor ich nach Haiti kam, war hier anlässlich Ostern ein großes Straßenfest. Diese Voodoo Feste haben aber eher einen folkloristischen Charakter. Viel Musik und Tanz. Das habe ich leider nicht mehr miterlebt.
Aber dann ergab sich, durch unseren Übersetzer Phillip, doch noch die Möglichkeit Voodoo Priester kennen zu lernen. Ein paar Telefonate später hatten wir – Evelyn unsere Fotografin, Monika und Christine zwei Journalistinnen aus Deutschland und ich- einen Termin bei einem Voodoo Priester Paar. Der Weg dorthin war eigentlich das Unheimlichste. Plötzlich, hielt Khassim  und machte uns verständlich, dass wir nun da seien und aussteigen sollten. Dort war nur eine kleine stockfinstere Gasse zu sehen und am Ende der Gasse stand eine große Gestalt. Dort hockten auch eine Gruppe Menschen und irgendwie war uns allen mulmig. Was die Phantasie so alles an Schabernack mit einem treibt. Herrlich. Die innere Unruhe war mit der überaus herzlichen Begrüßung schon wieder passé. Théodore ist riesig, hat tatsächlich die längsten Dreadlocks die ich je gesehen habe und eine Herzlichkeit die so ehrlich und unverblümt ist, das ich mich gleich für alle Phantasiebilder von bösen, wilden Voodoo Magiern innerlich beschämt. Manze seine Frau, ebenso herzlich, erwartete uns in ihrem Haus. Ein sehr schöner Ort. Sehr heimisch, mit einem großen Kreisrunden Steinaltar mitten im Wohnzimmer.
Wir kommen schnell ins Gespräch und die Beiden erzählen ein bisschen von ihrem Leben. Gleich werden alle Vorurteile aus dem Weg geschafft. Manze lacht müde, als eine von uns nach Voodoo Puppen fragt. Sie selber, sagt sie, habe noch nie solche komischen Puppen gesehen. Voodoo, erklären uns die Beiden, ist ein tiefer, alter Glaube in Haiti und unterscheidet sich wesentlich vom Voodoo Glauben in Afrika oder New Orleans. Die Götter des Voodoo hierzulande sind christliche Figuren: Maria, Jesus und Johannes der Täufer. Sie tragen dennoch andere Namen. Diese Figuren sind auch an dem Voodoo Tempel gemalt den ich im Vorbeifahren in Léogâne gesehen hatte. (Im übrigen war der Tempel dort das einzige Gebäude überhaupt, das dass Erdbeben überstanden hat!!!)
Es ist eigentlich kein Glaube, sondern eine Lebenshaltung. Im Voodoo glaubt man, dass alles eine Seele trägt, man auf verschiedenen Ebenen sein und existieren kann und auch mit diesem Ebenen und Wesenheiten in Kontakt treten kann. Manze und Théodore  erzählen, dass sie täglich meditieren und auch mit der Natur kommunizieren. Sie sagen, dass die Natur in Haiti sehr angeschlagen ist. Der einst wunderbare Waldflächen, wurde abgerodet und zwar komplett, da in Haiti mit Holz statt Kohle geheizt wird...
Wie auch bei uns, zur Zeiten der Hexenverbrennung, wurde der Voodoo Glaube ausgemerzt und zu etwas Bösem gemacht, was er eigentlich nie war. Wenn man Voodoo verstehen möchte und auch die Furcht die auch unter Haitianern herrscht, muss man sehr weit zurück blicken. Und Voodoo ist keine Schwarzmagie, jedoch mag es auch Schwarzmagier geben. Aber ich bin sicher, die gibt es auch in Deutschland... fragt sich nur WER sind die Schwarzmagier...? (Aber ich möchte dieser Stelle meine religiösen bzw. Weltansichten mal außen vor lassen.)
Was sie über das Erdbeben denken, fragen wir noch? Sie erinnern sich daran, das eine Freundin von Ihnen eine  plötzliche Eingebung hatte kurz bevor das Unglück passierte. In dieser sagte sie zu Manze und Théodore , sie sollen ein Ritual auf dem Platz in ihrem Viertel machen und die Nachbarn dazu einladen. Es würde etwas Schreckliches passieren und so könnten sie sich schützen. Das taten sie dann auch und tatsächlich kamen alle Nachbarn, obgleich sich hier keiner zum Voodoo bekennt und es, wie gesagt, keine öffentliche Angelegenheit ist. Die Beiden waren selbst etwas überrascht darüber und machten zum Wohle Aller ein Ritual und beteten gemeinsam. In diesem Viertel ist nichts passiert und auch Niemandem aus der Nachbarschaft. Nach dem Unglück wuchs die Offenheit gegenüber Manze und Théodore unter ihren Nachbarn, die Tür steht stets offen und manchmal kommen Menschen vorbei und bitten um Rat.
Hier ist eine große Ruhe und Stille und ich fühle mich sehr wohl. Eigentlich würde ich gerne länger bleiben und ihnen noch viele Fragen stellen, aber es ist spät geworden.
Als wir zurück fahren, mit einer CD von Boukman Eksperyans im Gepäck, denn was ich noch nicht erwähnte, ist das Manze und Théodore sehr berühmte Voodoo Musiker sind und zig Alben raus gebracht habe,  ist mir warm und ich bin erleichtert, das ich nur gute Geister J getroffen habe. Weise Menschen mit viel Herz.

Manze in ihrem Haus - CARE/Evelyn Hockstein
















Theodore, Manze und Ihre Tochter zu Hause - CARE/Evelyn Hockstein